Religionsgemeinschaften in Deutschland, ihre politische Ethik im Kontext der Verfassung

II. Berliner Gespräche:
Kooperationsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Humanistische Union. Samstag, 15. Januar 2005

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Aus dem Inhalt:

Begrüßung: Dr. Johannes Kandel (Friedrich-Ebert-Stiftung). Aus dem Text:

… Ich erinnere daran, dass 1997 der damalige Bundespräsident Roman Herzog den ‚Dialog der Kulturen’ gewissermaßen zur Staatsaufgabe erhoben hatte, und seine Nachfolger dies fortsetzten; in durchaus beeindruckender Weise. Der Dialog galt als Gegengift gegen den vermeintlich von Samuel Huntington ausgerufenen ‚clash of civilisations’. Die Vereinten Nationen deklarierten das Jahr 2001 zum ‚Jahr des Dialogs’. Am Ende dieses Jahres waren wir etwas ernüchtert.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sehr bewusst Ende 1999 dieses Referat Interkultureller Dialog eingerichtet. Wir verstehen ‚Dialog’ als kritische Streitkultur zur Stärkung von Demokratie und Ausgestaltung von Zivilgesellschaft. Wir haben seit 1999 zahlreiche Veranstaltungen zu den Themenfeldern „Migration“, „Integration“ und auch „Religionspolitik“ hier in unserem Hause angeboten. Zuletzt unsere große Tagung im Dezember 2004 zu „Religionen und Gewalt“, wo wir uns kritisch mit der These auseinandergesetzt haben, ob monotheistische Religionen in besonderer Weise gewaltanfällig sind…

Begrüßung: Dr. Jürgen Kühling (Humanistische Union). Aus dem Text:

… Für die Humanistische Union ist das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften seit ihrer Gründung ein zentrales Thema. Sie fordert vom Staat strikte religiöse und weltanschauliche Neutralität. Bürgerliche Freiheiten dürfen nur zum Schutz von Grundrechten Dritter und wichtiger Gemeinschaftsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Gebote, die allein aus religiösen oder anderen methaphysischen Quellen geschöpft sind, dürfen den Bürgern von Staats wegen nicht auferlegt, geschweige denn in Strafgesetzen verankert oder polizeilich durchgesetzt werden. Der Staat hat die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Freiheit, sich keiner Religions- oder Weltanschauung verpflichtet zu fühlen und weder einer Religions- noch einer Weltanschauungsgemeinschaft beizutreten. Die Ausübung dieser Freiheiten hat der Staat ebenso zu respektieren wie andere Grundrechte. Aus all dem folgt, dass er allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in gleicher Distanz gegenübertreten muss. Was er einer gewährt, muss er allen gewähren. Seine Macht darf er mit keiner von ihnen teilen.

Von diesem Standpunkt aus hat die Humanistische Union das Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften stets kritisch beobachtet…

Einführungsreferat: „Die Rolle der Religionsgemeinschaften im modernen Verfassungsstaat“. Prof. Dr. Ernst-Gottfried Mahrenholz (Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a.D.). Aus dem Text:

… Statt vieler Einzelheiten lässt sich die veränderte Stellung der Kirchen zum Staat auf den Begriff der Partnerschaft zwischen Staat und Kirche bringen. Genau betrachtet war es eine sehr merkwürdige Partnerschaft. Während die katholische Kirche den staatlichen Gesprächspartner in der CDU suchte und fand, obschon diese nach dem Krieg dezidiert nicht die katholische Zentrumspartei sein wollte, fand zwischen der evangelischen Kirche und der SPD ein gegenseitiger Öfffnungsprozess statt, der zugleich die traditionelle tiefsitzende Distanz der beiden Sozialverbände überwand. Diese Polarisierung wurde am deutlichsten erkennbar in der Schulgesetzgebung: Wo die CDU das Feld beherrschte, gestaltete sich das Schulwesen nach den Vorstellungen der katholischen Kirche (bis hin zur verfassungsrechtlichen Garantie der einklassigen Volksschule für alle Jahrgänge in der Verfassung Nordrhein-Westfalens); die evangelische Kirche hingegen vertrat das Konzept der Schule für alle, in dem sie sich mit der SPD dort begegnete, wo diese das Schulwesen nach dem Kriege verantwortete.

Diese Partnerschaft führte, zunächst auf der evangelischen Seite, zu einer Reihe von Kirchenverträgen, von denen der auch für die folgenden Verträge maßgebende Loccumer Kirchenvertrag von 1955 im Blick auf das Partnerschaftskonzept besondere Beachtung verdient. Denn dort heißt es in der Präambel, dass der Vertrag unter anderem geschlossen werde im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für den evangelischen Teil der niedersächsischen Bevölkerung. Nicht zufällig ist genau diese Wendung aus der Präambel für die nachfolgenden Verträge nicht übernommen worden. Eine Partnerschaft setzt, wenn der Staat im Spiel ist, gemeinsame Ziele voraus. Darauf kann sich weder der Staat noch die Kirche einlassen…

Außerdem:

  • Kurzkommentare
  • Diskussion mit dem Plenum
  • Statement 1: „Das islamische Kopftuch und andere religiöse Bekundungen in öffentlichen Schulen“
  • Statement 2: „Religions- und Weltanschauungsunterricht an öffentlichen Schulen“
  • Statement 3: „Gottesbezug in der europäischen Verfassung“
  • Schlusswort: Dr. Jürgen Kühling

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